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Quellenband: Der Nationalsozialismus

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Gerd Steffens, Thomas Lange: Der Nationalsozialismus. Band2: Volksgemeinschaft, Holocaust und Vernichtungskrieg 1939 – 1945. Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts., (2011) 368 Seiten, 24,80 €.
Von Ingolf Seidel

Angesichts des wachsenden zeitlichen Abstandes zum Nationalsozialismus, und den damit einhergehenden demografischen Verschiebung, die auch eine Zunahme und Dominanz medial vermittelter Bilder mit sich bringt, werden die historisch-politische Bildung und die Geschichtsdidaktik vor Herausforderungen gestellt, die auch neue Möglichkeiten der Vermittlung eröffnen. Nur oberflächlich besehen erscheint da die Herausgabe einer text- und bildbasierten Quellensammlung zum Nationalsozialismus als hausbacken und antiquiert. Im Gegenteil: Die Quelleninterpretation wird eine Grundlage historischen, kompetenzorientierten Lernens bleiben und die Notwendigkeit der kritischen Würdigung von Quellen ist unabhängig davon, ob wir uns mit schriftlichen, audiovisuellen oder anderen Quellengattungen befassen.

Die jetzt erschienene Quellensammlung „Der Nationalsozialismus. Band 2. Volksgemeinschaft, Holocaust und Vernichtungskrieg 1939 - 1945“ wurde durch zwei erfahrenen Didaktiker, Schulpraktiker und Archivpädagogen Gerd Steffens und Thomas Lange, zusammengetragen und bildet den zweiten Teil einer doppelbändigen Edition. Sie ist in der Reihe „Fundus – Quellen für den Geschichtsunterricht“ im Wochenschau Verlag erschienen.

Der im Jahr 2009 erschienene erste Band mit dem Untertitel „Staatsterror und Volksgemeinschaft 1933 – 1939“ widmet sich der „Leitfrage, wie der Nationalsozialismus sich des Staates bemächtigt und ihn in einen Terrorstaat verwandelt hat“ (Lange/Steffens 2009, 9) mittels der Quellenauswahl, die – der aktuellen Historiographie folgend – den Nationalsozialismus als Gesellschaftssystem in den Blick nehmen. Quellen,   die Verstrickung, Mitwisser- und Mittäterschaft der deutschen Bevölkerung deutlich machen, nehmen einen breiten Raum ein, um die „Doppelstruktur und Komplementarität von Führerstaat und Volksgemeinschaft, Terrorherrschaft und Einverständnis“ (Lange/Steffens 2009, 10) verstehbar zu machen. Zwischen beiden Bänden gibt es zeitliche Bezüge und Überschneidungen, da, wie die Herausgeber betonen, der Nationalsozialismus als Handlungs- und Ereigniseinheit zu betrachten sei.

Auch im zweiten Band wird dem Verhältnis der deutschen Mehrheitsbevölkerung zum NS-System ein wichtiges Augenmerk geschenkt. Das Buch ist in eine Einleitung und acht Hauptkapitel gegliedert, wobei den einzelnen Kapiteln je kurze einführende Bemerkungen vorangestellt sind. In allen Kapiteln finden sich bekannte und häufig benutzte Quellen neben unbekannteren Dokumenten. Abgedruckt sind Alltagsquellen, Tagebucheinträge und Briefe ebenso wie Augenzeugen- und Überlebendenberichte wie auch Auszüge aus Gesetzen, Verordnungen und Berichte von NS-Stellen. Ebenso wurden Bilder und Fotos unterschiedlicher Provenienz zusammen gestellt. 

Zu den bekannteren Quellen gehören beispielsweise im ersten Kapitel, „Der Weg in den Krieg“ betitelt, Auszüge aus dem „Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht“ vom 16. März 1935, dem „Münchner Abkommen“ von September 1938 oder dem „Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt“ vom 23. 8. 1939. Wie die NS-Führung in ihrer Kriegsführung von Anbeginn auf einen „völkischen Weltordnungskrieg“ (Lange/Steffens 2011, 67) abzielte, zeigen die Dokumente des folgenden Kapitels über „Die Dimensionen des Krieges – der Weltkrieg als Herrschaftskrieg“ auf. Gemäß der Intention von Lange und Steffens liegt der Schwerpunkt der historischen Betrachtung „auf Deutschland als zentralen Akteur des Krieges“ (Lange/Steffens 2011, 16). Daher spielt die Kriegsführung und Besatzung in Westeuropa in diesem, wie in den folgenden Kapiteln im Vergleich zu den Ereignissen in Polen und später in der Sowjetunion eine relativ untergeordnete Rolle. Quellen wie das Faksimile eines hessischen Gemeindeblattes zeigen, wie die Kriegsbegeisterung bis in Kirchenkreise reichte und wie tief die Gesellschaft vom Glauben an den Nationalsozialismus durchdrungen war.

Dem „Krieg im Osten als Vernichtungskrieg“ und dem Holocaust sind jeweils eigene Kapitel gewidmet, was die Schwerpunktsetzung der Herausgeber noch einmal verdeutlicht. Eindrucksvoll wird der grausame „Alltag der Vernichtung“ durch Auszüge aus deutschen Soldatenbriefen sowie in Erinnerungsberichten von Verfolgten dokumentiert, wobei die zunehmende Brutalisierung der Täter aufgezeigt wird, aber auch die Alles oder Nichts-Haltung der mehrheitsdeutschen Bevölkerung, die in Dokumenten über den Bombenkrieg im Kapitel „Hitlers Volksstaat im Krieg“ verdeutlich wird.

Dem Widerstand in Deutschland, aber vor allem in den besetzten Ländern ist ebenfalls ein eigenes Kapitel gewidmet. Besonders erwähnenswert ist , dass für Deutschland ein breites Spektrum widerständischen Aktivitäten aufgezeigt wird. So wird nicht allein das Aufbegehren gegen den Kriegsverlauf enttäuschter deutscher Offiziere dokumentiert, sondern Dokumente zur Swing-Jugend und den Edelweißpiraten fanden ebenso Beachtung wie das Attentat des Schreiners Georg Elser und die kommunistisch orientierte Gruppe um Harro Schulze-Boysen oder kirchliche Aktivitäten. Etwas knapp gehalten sind im Vergleich die Dokumente zur französischen Resistance oder zu den Partisanenaktivitäten in der Sowjetunion, die aber immerhin die Existenz der jüdischen Partisanen thematisieren.

Unter der Überschrift „Vertreibungen: Von der »Behandlung der Fremdvölkischen im Osten« zur Flucht und Vertreibung der Deutschen wird aufgezeigt wie die Logik des „Generalplans Ost“ mit der Vertreibung und Ermordung der osteuropäischen Bevölkerung oder ihres Einsatzes als Zwangsarbeiter/innen mit dem wechselnden Kriegsverlauf und der Befreiung der besetzten Länder auch die Flucht und Vertreibung der dortigen deutschen Bevölkerung zur Folge haben musste . Durch eine sorgfältige Auswahl der Quellen kommt auch die Not von vertriebenen Deutschen zur Sprache, ohne geschichtspolitischen Relativierungen Raum zu schaffen.

Das abschließende Kapitel spannt unter der Überschrift „Befreiung, Niederlage, Zusammenbruch – materielle und mentale Bilanzen“ einen weiten Bogen, der den „opernhaft inszenierten“ (Lange/Steffens 2011, 316) Charakter und die Mythologisierung der militärischen Niederlage seitens der NS-Führung aufgreift bis zu den Nachkriegsdiskursen um die „Schuldfrage“ (Jaspers) und endet mit der Rede von Richard von Weizsäcker, der den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung reklamiert.

Die Fokussierung auf die drei Komplexe Volksgemeinschaft, Holocaust und Vernichtungskrieg ist, angesichts einer zunehmenden Eventorientierung in der Geschichtsvermittlung ein lobenswertes Unterfangen.

Durch die Zentrierung auf Deutschland und den daraus folgenden „Verzicht auf räumliche Repräsentation“ (Lange/Steffens 2011, 16) gerät allerdings der Charakter des Krieges als Weltkrieg aus dem Blick. Zudem wird die Chance zu einer Auseinandersetzung mit den historischen Gegebenheiten in Nordafrika oder auch der Türkei und anderen Ländern vertan, was aber für ein zeitgemäßes historisches Lernen in der Migrationsgesellschaft wesentlich wäre. Somit bleibt von den Autoren und dem Verlag zu erhoffen, dass sie den bisherigen beiden wichtigen Quellenbänden noch einen dritten hinzufügen, der die hier angedeuteten Lücken schließt.

Die vorliegende Besprechung wurde erstveröffentlicht in: Einsicht 07. Bulletin des Fritz Bauer Instituts. Für LaG wurde die Rezension leicht überarbeitet.

 

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