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Punk Stories

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Thomas Kraft, Alexander Müller, Arne Rautenberg: Punk Stories, Verlag LangenMüller (2011) 317 Seiten, 14,99 €.
Von Ingolf Seidel

Punk stellt bis heute mehr als nur eine Musikrichtung dar. Punk, das war und ist ein Symbol für die Rebellion gegen das Elternhaus, gegen verkrustete gesellschaftliche Beziehungen, gegen alle Formen von Autoritäten. Nicht umsonst steht das umkreiste A für Anarchie häufig in enger Verbindung zur Punkszene. Gleichzeitig ist Punk auch durch Momente des Nihilismus und der Selbstzerstörung, nicht nur von Jugendlichen, geprägt. Punk ist der brachiale Versuch der vorpolitischen Revolte gegen versteinerte Verhältnisse, gegen die Ausformungen einer immer weiter verwalteten Welt. Nicht umsonst zieht Punk, der wie andere Jugendkulturen auch längst durchkommerzialisiert wurde, immer wieder jugendlichen Nachwuchs an.

Der Band „Punk Stories“ vereinigt 56 Geschichten unterschiedlicher Autorinnen und Autoren, die selbst in der einen oder anderen Form Punk gelebt haben. Es sind Geschichten, die von Selbstfindungen, vom Leben in Metropolen und der Provinz, von Aufbegehren und Anpassung zeugen. Die Autor/innen stammen aus Österreich oder sind in der Bundesrepublik oder der DDR sozialisiert und zum Teil durchaus renommiert. Der subjektive Charakter der Erzählungen fasziniert beim Lesen. Man gewinnt den Eindruck, hier haben Menschen geschrieben, die zu ihrer Geschichte stehen und obwohl teilweise im bürgerlichen Mainstream angekommen, sich nicht krampfhaft von diesem Teil ihrer Vergangenheit distanzieren wollen. Die Mehrzahl der Geschichten zeichnet ein durchaus humorvoller, teil ironischer Blick zurück aus. „Wir waren Teens, beschmiert mit Parolen. Punk war was uns lebendig erschien“, schreibt der Hamburger Journalist Mirko Bonné (S. 210). Es ging Punk nicht um eine Definition dessen, was er war. Punk wurde unterschiedlich gelebt. Seine Vereindeutigung, die Uniformierung, die auf Nietengürtel, Lederjacken oder schwere Stiefel zielte war bereits ein Teil der Kommerzialisierung. Punk hatte für die Jugendlichen einen wichtigen Stellenwert bei der Identitätssuche, oder im freien Spiel mit Identitätsentwürfen gewonnen: „Ich schlüpfte damals – wie vermutlich jeder Jugendliche auf dem Weg der Individuation – in alle möglichen Rollen. Es war, als legte man jeden Tag ein Kostüm an, aber – hey! – das Kostüm musste bis ins letzte Detail passen. Beim Punk war es äußerlich genauso: das Harlekinhafte der karierten Röhrenhosen, der löchrigen T-Shirts und der bunten Haare – wenn schon, dann richtig und alles auf einmal! (...) Diese Konsequenz und Unerschrockenheit finde ich nach wie vor bewundernswert. Der entideologisierte, unterschiedslose Protest, die Verweigerung alles Scheinheiligen, Verkniffenen, Anständigen – sollte das die Jugend nicht überdauern?“ (S. 133), fragt Thomas Kastura.

Deutlich wird der Unterschied zwischen Punk in beiden deutschen Staaten. Einigkeit bestand in der Rebellion gegen verkrustete Verhältnisse. Während in der Bundesrepublik und in Westberlin Punk und dessen Ableger New Wave/Neue Deutsche Welle allen Revolutionsträumen, zelebrierter Endzeitstimmung, Boheme, Rausch und Polizeigewalt zum Trotz Teil der Major-Plattenlabels und somit des Mainstream wurden, galten für den DDR-Punk andere Gesetze. Die Möglichkeiten an Tonträger und Musikstücke zu kommen waren begrenzt, nicht selten von Westkontakten geprägt. „Heimelektronik war damals eine Anschaffung fürs Leben“, schreibt der aus Ostberlin stammende Jochen Schmidt (S. 184). Auf der Bandseite gab es neben logistischen Herausforderungen („Weil man im Osten kein Keyboard kaufen konnte, wurde, wer genug Westverwandtschaft hatte, Keyboarder“, Jakob Hein, S. 155) die Probleme der staatlich reglementierten Auftrittsmöglichkeiten, wenn sie denn überhaupt existierten. Darüber hinaus prägten die staatliche Repression gegen Punks und die Unterwanderung durch IMs die Szene. In Punk Stories spielen die DDR-eigenen Probleme und Strukturen der Punkbewegung nur eine Nebenrolle, wie überhaupt der Band stärker durch Geschichten aus der alten Bundesrepublik geprägt ist. Diese Geschichten widerspiegeln den, durch das Do-it-Yourself Motiv geprägten, anti-bürgerlichen Stil, und das Lebensgefühl von „No Future“; beide Aspekte markieren die Suche nach Individualität in einer als zunehmend verwaltetet und durchkapitalisiert wahrgenommenen Wohlstandsgesellschaft. Darüber hinaus präsentieren die Kurzgeschichten ein breites Spektrum dessen, was die Punkrezeption, dessen Bezugsrahmen immer transnational war, hierzulande ausmachte. Etwas kurz kommen vielleicht die fließenden Übergänge zum eher anarchistisch-aktivistisch ausgerichtetem Milieu. Die überwiegend lebendig und teilweise temporeich oder auch nachdenklich erzählten Geschichten machen die Lektüre kurzweilig und schaffen so persönliche wie lebensweltorientierte Zugänge zur Geschichte der Jugendszene. Dadurch bieten sich die Erzählungen zum Einsatz im Unterricht regelrecht an. Viele Geschichten umfassen nur drei bis fünf Buchseiten und sind sprachlich leicht zugänglich, auch wenn das Buch nicht als ausgesprochenes Jugendbuch angelegt ist. Darüber, dass eine solche Pädagogisierung nicht unbedingt mit dem Habitus der Punks vereinbar ist, muss man sich dabei auch im Klaren sein. Aber vielleicht beantwortet sich so auch die am Beginn des Buches stehende Frage danach, ob denn Punk nun tot sei oder nicht.

Ebenfalls Geschichten von Jugendlichen erzählt ein Band der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Das Ministerium für Staatssicherheit wies als eine spezielle „Zielgruppe“ in ihrer Überwachungsstrategie Jugendliche und junge Erwachsene aus. Die kostenlose Publikation „Jugend im Visier der Stasi“ basiert auf der Auswertung von MfS-Akten und rückt das reale Schicksal einiger von der Stasi überwachten jungen Menschen in den Blick.

 

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