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Anton oder Die Zeit des unwerten Lebens

Elisabeth Zöller: Anton oder Die Zeit des unwerten Lebens, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main (2004), 224 S., 12,90 Euro.

Violetta Rudolf

Eine Straßenbahn fährt Anton an, als er noch ein kleiner Junge ist. Sein Kopf wird schwer verletzt und seit diesem Zeitpunkt stottert er und spricht von sich nur noch in der dritten Per-son. Auch seinen rechten Arm bewegt er unkontrolliert. Dafür aber kann Anton wunderbar rechnen und malen. Als unter nationalsozialistischer Herrschaft behinderte Menschen als „unwertes Leben“ klassifiziert werden, beschließen Antons Eltern, ihren Sohn zu schützen, indem sie ihn wie ein gesundes Kind zur Schule schicken. Seit seinem ersten Schultag im Frühjahr 1938 wird Anton von Klassenkameraden und selbst von Lehrenden ausgegrenzt und gedemütigt. Immer öfter wird der Junge in der Schule Opfer von Gewalt, die er nur erträgt, weil er in seiner Familie liebevoll umsorgt und aufgefangen wird. Nachdem Mitschüler/ innen Anton im Februar 1943 brutal zusammenschlagen, verstecken ihn seine Eltern und erst sein vorgetäuschter Tod bringt Anton endgültig in Sicherheit vor den Nationalsozialisten.
Aus der Sicht der Familie Brocke schildert die Autorin, wie sich die Lage für Behinderte zwi-schen 1938 und 1943 verschlechtert. Zunächst erscheint die „Euthanasie“ in dem Buch als eine bedrohliche Ahnung, die aber mit dem Fortgang der Erzählung immer konkreter wird. Das Schicksal des am Down-Syndrom erkrankten Nachbarsjungen schließlich, den seine Eltern in ein Kinderheim schicken, weil er dort die beste Pflege erhalten soll, der stattdessen aber behandelt, also umgebracht wird, lässt Antons Familie und die Leser/ innen die Bedrohung spüren. Über die Organisation der „Aktion T 4“ und die Vorgehensweisen in den Tötungsanstalten gibt die Erzählung nur vereinzelt Informationen. Diese ergänzt ein informatives Nachwort von Ernst Klee.

Elisabeth Zöller veranschaulicht, wie die nationalsozialistische Ideologie die Gesellschaft und deren Werte immer mehr durchdringt. Klassenkameraden dürfen nicht mehr mit Anton spielen, nur wenige Menschen halten an ihrer Zuneigung zu dem Jungen fest. In den Figuren der Erzählung zeichnen sich Typen ab: der überzeugte und blindwütige Nationalsozialist, Mitläufer, stille Gegner des Regimes und verschiedene Opfer – Behinderte, Juden und Andersden-kende. Indem die Autorin aus dem Leben von Antons Familie berichtet, gibt sie auch Einblick in den Alltag im Nationalsozialismus. Zudem beschreibt das Buch historische Ereignisse wie etwa die Pogromnacht 1938, skizziert den Kriegsverlauf und zeigt, wie sich die großen politischen Veränderungen auf einzelne Schicksale auswirken.

Auf faszinierende Weise erzählt die Autorin eine wahre Geschichte, die ihres Onkels. Sie versetzt sich dabei in die Gedankenwelt des jungen Antons und gibt den Leser/innen damit die Möglichkeit intensiv mitzufühlen. Antons Beobachtungsgabe, sein feines Gespür für die Veänderungen in seiner Umwelt, sein Unterscheidungsvermögen zwischen den Menschen, die ihm wohl gesonnen oder feindselig begegnen, zeichnen aus kindlicher Sicht ein differenziertes Gesellschaftsbild.
Die Sprache ist einfach und besteht aus kurzen, klaren Sätzen. Der Text ist besonders empfehlenswert für Schüler/innen der 7. und 8. Klasse, kann aber zur Veranschaulichung des Themas auch in höheren Klassenstufen herangezogen werden.

Ein Unterrichtsmodell zu dem Buch befindet sich auf der Internetseite der Fischer Verlage.

 

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