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Content-Author: Ingolf Seidel You have to be logged in to view the profile
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Von Axel Janowitz
Junge Lehramtsstudierende erkannten die Gegenwartsrelevanz des Stasi-Dokuments sofort. In einem Seminar der Uni Mainz mit der Stasi-Unterlagen-Behörde hatten sie den Stasi-internen Schulungsfilm „Revisor“ als Quelle analysiert und Möglichkeiten für die Arbeit damit im Unterricht entwickelt. Am Tag zuvor war die Diskussion um den „Bundestrojaner“ durch die Presse gegangen: Überwachung und Kontrolle durch den Staat: das war sofort Thema. Aber durch was für einen Staat? Mit welchen Methoden und in welcher Form? Mit welchen Zielen? Diese Fragen führten zu einer lebendigen Diskussion um die Frage, was eigentlich der Unterschied zwischen der Demokratie in der Bundesrepublik, wie sie den jungen Menschen selbstverständlich ist, und der DDR ist. War sie eine Diktatur? Warum und wenn ja, aufgrund welcher Kriterien?
„Stasi“ als Referenz- und Reizbegriff
Die Arbeit mit einer filmischen Stasi-Quelle führte die Studierenden also nicht zunächst zu den quellenkundlichen und historischen Fragen, sondern zu Themen, die ihnen selbst heute Unwohlsein bereiten. Ausgehend von der eigenen Lebenswelt entwickelten sie Fragen an den historischen Gegenstand, ordneten diesen ein, beschafften sich Zusatzinformationen und setzten die Ergebnisse anschließend wieder mit den Ausgangsfragen in Verbindung. Dass sie dann auch noch selbst einen Unterrichtsvorschlag zur Quelle entwickelten, war darüber hinaus ein nur selten mögliches Highlight historisch-politischer Bildungsarbeit. Aber das Anknüpfen an die wichtigste Kommunikationsform Jugendlicher funktioniert auch in der Arbeit mit Schüler/innen.
Für Jugendliche sind das Internet und seine sozialen Netzwerke die Informationsquelle Nummer 1. Auf der einen Seite steht der Wunsch nach Selbstoffenbarung und einer grenzenlosen Informationsfülle. Auf der anderen Seite besteht bei vielen auch die Furcht vor Missbrauch der Daten, vor Überwachung, Kontrolle und Steuerung der Kommunikationswelt „Internet“. Das Netzwerk „facebook“ konfrontiert junge Menschen mit beiden Aspekten: grenzenloser und unkomplizierter Kommunikation auf der einen, Überwachungsmöglichkeiten und unkontrollierbaren Vermarktungsinteressen auf der anderen Seite. Auch die Kontroversen über Kontrollrechte und -möglichkeiten des Staates werden in der Regel misstrauisch beobachtet. Vor einigen Jahren hat dies zu einer Bewegung unter dem Schlagwort „Stasi 2.0.“, dann mit der Piratenpartei sogar zu einer Parteigründung mit zunächst sehr netzspezifischen Zielen geführt.
Auch in anderen Zusammenhängen ist von Stasi-Methoden die Rede, beispielsweise, wenn bekannt wird, dass Firmen mit Überwachungskameras das eigene Personal beobachten, wenn U-Bahnhöfe und öffentliche Plätze mit Kameras überwacht werden oder im Zusammenhang mit polizeilicher Ermittlungsarbeit. Wenn Jugendliche sich in diesen Zusammenhängen empören, sich kritisch mit Fragen wie der Erweiterung des BKA-Gesetzes, dem Thema Vorratsdatenspeicherung oder erweiterten Kompetenzen zu Online-Durchsuchungen auseinandersetzen, deutet das auf eine erfreuliche Sensibilität und Wachheit gegenüber den eigenen Entfaltungs- und Informationsmöglichkeiten hin. Dass sich die Heranwachsenden dabei mitten in grundlegenden Fragen nach den Befugnissen und Grenzen des Rechtsstaats gegenüber den Bürgern befinden, muss dabei zunächst gar nicht einmal reflektiert sein.
Allerdings ist auch der Bezug auf die DDR-Staatssicherheit nicht immer von Kenntnis des historischen Bezugsobjektes getragen oder reflektiert. Das gilt übrigens nicht nur für junge Menschen! Zumindest aber, sonst würden diese Vergleiche gar nicht bemüht, gibt es ein Empfinden für den Unrechtscharakter der Tätigkeit des MfS. Und genau darin liegt eine Chance für die Vermittlung von Geschichte, Methoden und Befugnissen der DDR-Staatssicherheit in der SED-Diktatur.
Die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), befinden sich heute im Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), darunter auch Lehrfilme des MfS für den internen Dienstgebrauch. Einer dieser Filme, der Lehrfilm „Revisor“, ist in der Reihe „BStU für Schulen – Quellen für die Schule“ (Link: http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Bildung/Unterrichtsmaterialien/unterri...) veröffentlicht.
Der Revisor: Filminhalt und Einsatzmöglichkeiten
Der Film zeigt an einem realen Fall aus dem Jahr 1985 das Vorgehen des MfS gegen einen einzelnen Menschen, dem die Stasi den Decknamen „Revisor“ gegeben hat. Wie geriet dieser Mann ins Visier der DDR-Staatssicherheit? Mit welchen Methoden versuchte die Stasi, aus ihrer Sicht belastende Dokumente zu finden? Warum überwachte und verfolgte sie ihn bis in seine intimsten Lebensbereiche hinein? Wie wurde die konspirative Verhaftung von Revisor durchgeführt? Anhand des Films sollten die Mitarbeiter die Methoden und das Vorgehen der Staatssicherheit lernen. Große Teile des Films bestehen aus der Darstellung von Aktenstücken, die aus dem Off von einem MfS-Mitarbeiter kommentiert werden. Texteinblendungen stellen die Zusammenhänge her. Sowohl die Wohnungsdurchsuchung als auch die Festnahme wurden filmisch festgehalten.
Den heutigen Betrachter/innen zeigt der Film exemplarisch die Omnipräsenz und die zahlreichen offiziellen und inoffiziellen Informationsmöglichkeiten des MfS. Die beschriebenen polizeilichen, geheimdienstlichen und juristischen Schritte bis hin zur Verhaftung liefen auf der inoffiziellen Ebene allein und ohne jede Kontrolle in Verantwortung des MfS ab. So dokumentiert der Film auch, wie weit die Befugnisse des MfS reichten und wie umfassend die Kompetenzen waren. Zugleich können die Mittel und Wege der Kriminalisierung des Betroffenen nachvollzogen werden. Die Kommentierung spiegelt, da der Film konspirativ hergestellt und ausschließlich intern verwendet wurde, unverfälscht Sprache, Perspektive und idealisiertes Selbstbild des MfS und seiner Mitarbeiter wider.
Ein begleitender Aktenauszug ermöglicht es, denselben Fall auf der Grundlage von zwei Überlieferungsformen, der Schriftquelle und der teilweise darauf fußenden Filmquelle zu analysieren. Mit den Akten liegt eine primäre Form der Überlieferung vor. Sie bilden das geheimpolizeiliche Handeln ab, teilweise waren sie handlungsbegründend, wie z.B. Maßnahmepläne oder der Haftbeschluss. Der Film dagegen bezieht sich auf diese Akten, stellt sie in Auszügen vor und macht sie damit zum Bestandteil einer zweiten, zeitlich etwas späteren Überlieferungsstufe. Damit kommen zwei Binnenperspektiven der Stasi zum Ausdruck: zum einen die aus den Akten herauszuarbeitende Perspektive der fallbearbeitenden Stasi-Mitarbeiter, zum anderen die Perspektive der Filmemacher des MfS, die in dramatisierender Form das Gefährdungspotential des Falls überhöhen und damit den Erfolg der Stasi-Tätigkeit herausstellen.
Blick zurück nach vorne
Schüler/innen können durch die Arbeit mit dem „Revisor“ die geheimdienstlichen, geheimpolizeilichen und juristischen Befugnisse, die die Stasi in einer Hand hatte, herausarbeiten und erkennen, dass die Betroffenen keinerlei Möglichkeiten hatten, sich gegen dieses geheimpolizeiliche Vorgehen zur Wehr zu setzen. So bietet der Revisor über die Beschäftigung mit der DDR-Staatssicherheit hinaus einen geeigneten Zugang zu einer weiterführenden Diskussion über den Charakter der DDR. Die Filmquelle stößt zugleich einen Austausch über die Bedeutung von Freiheitsrechten, Rechtsstaatlichkeit und institutioneller sowie öffentlicher Kontrolle in der Gegenwart an. Aus der Kenntnis der Möglichkeiten und Befugnisse der Stasi in der DDR sowie von deren Rolle für den Machterhalt der Parteidiktatur der SED ergibt sich für die jungen Menschen fast zwangsläufig eine Neubewertung gegenwärtiger Stasi-Vergleiche.
Literatur und Filmbezug
Generell zur Arbeit mit Stasi-Quellen in der Projektarbeit vgl. Axel Janowitz, Ein Beitrag zum Verständnis von DDR-Wirklichkeit? Stasi-Unterlagen als Quelle in der Bildungsarbeit. In: Lernfeld DDR-Geschichte : ein Handbuch für die politische Jugend- und Erwachsenenbildung / Heidi Behrens [Hrsg.]: Schwalbach/Ts.,, 2009. S. 305 – 315.
BStU (Hg.): „Revisor“. Überwachung, Verfolgung, Inhaftierung durch das MfS. Ein Fallbeispiel für den Unterricht. Film-DVD mit einem original Lehrfilm des MfS und Bildungs-DVD mit didaktischen Hinweisen und Aktenauszug, Berlin 2007 (BStU für Schulen – Quellen für die Schule 4). Weitere Angebote des BStU vgl. www.bstu.de.
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- 22/02/2012 - 07:18