Magazin vom 8. Mai 2025 (5/2025)

Zum 8. Mai. Erinnern an das lange Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa

Liebe Leser:innen,

am 8. Mai 2025 schauen wir mit einem Abstand von 80 Jahren zurück auf das Ende des Zweiten Weltkrieges, das zugleich das Ende des nationalsozialistischen Deutschlands war. Mehrere Autor:innen unseres Magazins berufen sich in ihren Texten auf die Rede Richard von Weizsäckers, der 1985 den 8. Mai als „Tag der Befreiung“ deklarierte – eine staatspolitische Erklärung, die zu einem gesellschaftlich breit getragenen Konsens wurde. Die MEMO-Studie der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ), die den Stand der Erinnerungskultur in Deutschland empirisch dokumentiert, hat herausgefunden, dass viele junge Menschen heute noch an der NS-Zeit interessiert sind. Allerdings zeigten sich bei den repräsentativen Befragungen der Studie auch erhebliche Wissenslücken: Die Länder Ukraine, Belarus und Litauen etwa, deren Gebiete Hauptschauplatz des Vernichtungskriegs in Osteuropa waren, werden nur von sehr wenigen Befragten überhaupt mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht. Daraus ergeben sich die Fragen, wie wir den Zweiten Weltkrieg als europäisches Ereignis betrachten können und was wir über die Vergangenheitsdeutungen in anderen europäischen Ländern wissen, kurz: Wie kann eine europäische Erinnerungskultur aussehen?

Wissenschaftler:innen nehmen aktuell das „lange Kriegsende“ in Europa in den Blick, das für Millionen Menschen in verschiedenen Ländern auch nach dem 8. Mai 1945 noch jahrelang von Gewalt, Migration und existenzbedrohenden Notlagen geprägt war. Der Historiker Martin H. Geyer nennt diese Zeit eine „Abfolge permanenter Ausnahmezustände“. Den mikrohistorischen Blick auf die Kriegs- und Nachkriegserfahrungen von Menschen werden Sie in einigen Essays dieser Magazinausgabe wiederfinden. Die Erinnerungspraxis steht heute jedoch vor Herausforderungen ungeahnten Ausmaßes: Durch aktuelle Kriege in und am Rand von Europa sowie durch den Vormarsch rechter und extrem rechter politischer Kräfte wird es zunehmend schwieriger, den erinnerungskulturellen Konsens aufrechtzuerhalten. Die Wahlerfolge der AfD bei der letzten Bundestagswahl ziehen weitere Fragen nach sich: Welche Rolle spielen eigentlich die geschichtsrevisionistischen Deutungen dieser Partei für die Wähler:innen? Bedeuten die hohen Zustimmungswerte am Ende eine Aufkündigung der kritischen Aufarbeitung und Verurteilung deutscher NS-Verbrechenskomplexe? Äußert sich hier das Bedürfnis, lieber auf die eigenen Leiden zu schauen als auf die der anderen? Oder haben erinnerungskulturelle Fragen keine stimmentscheidende Priorität und wählen Bürger:innen die AfD trotz ihrer Verharmlosung von NS-Verbrechen?

Die Beiträge dieser Magazinausgabe nehmen die oben angerissenen Fragen und Themenfelder auf. Mit lokal- und regionalhistorischen Perspektiven greifen sie zugleich die Forderung nach einer europäisch orientierten Erinnerung auf. Zur Einführung werfen wir einen Blick in die Arbeit und die aktuellen Forschungsergebnisse des Multidimensionalen Erinnerungsmonitors MEMO Deutschland. Am Heftende stellen wir Bildungsprojekte anlässlich des 8. Mai 2025 vor, die den europäischen Gedanken einlösen und mit ansprechenden digitalen Formaten arbeiten.

Maria Wilke ordnet dem 8. Mai eine besondere Bedeutung in der gegenwärtigen Erinnerungskultur zu. Der in den vergangenen Jahrzehnten erarbeitete europäische Erinnerungskonsens vom 8. Mai als dem Tag der Befreiung wird durch erstarkende geschichtsrevisionistische Deutungen als auch durch die russische Propaganda im Rahmen des Angriffskriegs gegen die Ukraine in Frage gestellt.

Jonas Rees und Leonore Martin haben unsere Fragen zu den Ergebnissen der aktuellen MEMO-Studien beantwortet. Sie berichten besonders über die MEMO-Jugendstudie von 2023, gewähren uns Einblick in die Arbeitsprozesse der Studien und weisen auf ihre gesellschaftliche Relevanz hin.

Jost Dülffer gibt uns einen Überblick über die Praxis der Erinnerung in west- und osteuropäischen Ländern. Die Tradition, an die „für das Vaterland gefallenen“ Soldaten zu erinnern, stellte in den Nachkriegsjahrzehnten europaweit keinen angemessenen Rahmen mehr dar, um der Opfer des Zweiten Weltkriegs, eines genozidalen Vernichtungskriegs, zu gedenken.

Karolina Ćwiek-Rogalska hat Interviews mit ehemaligen polnischen Zwangsumsiedler:innen und deren Angehörigen in der polnischen Kleinstadt Wałcz/Woiwodschaft Westpommern geführt. Sie gewährt uns einen Einblick in die Erfahrungen dieser Menschen, die im Frühjahr 1945 in den neuen polnischen Westgebieten ankamen.

Juliane Wetzel gibt einen Überblick über die jüdischen DP-Lager in den von den Westalliierten besetzten Zonen. Sie weist auf das lange Kriegsende hin – viele jüdische Überlebende mussten noch Jahre im „Wartesaal Deutschland“ ausharren, bis es ihnen gelang auszuwandern.

Emmanuel Droit blickt aus einer französischen Perspektive auf das Kriegsende in der deutschen Kleinstadt Demmin und den damaligen Massensuizid von Einwohner:innen im Angesicht der einmarschierenden Roten Armee. Die Erinnerung dort wird heute zunehmend von der AfD und der extremen Rechten geprägt: Den 8. Mai feiern nicht mehr alle in Demmin als Tag der Befreiung.

Sophie Ziegler stellt zwei von der Stiftung EVZ geförderte Projekte vor. Sie berichtet, wie junge Menschen heute die Geschichte des Kriegsendes aufarbeiten und erzählt hierbei von zwei Orten: der multikulturellen Region Fruška Gora in Serbien und dem Plac Grunwaldzki in der polnischen Stadt Wrocław.

Tobias Rischk weist auf eine Ausstellung, einen Podcast, ein Projekt mit virtuellen Zeitzeug:innen und ein Tanzprojekt hin, die sich auf den 8. Mai 1945 beziehen. Eine Konferenz zum langen Kriegsende in Europa nimmt die nationalen Erinnerungen im Kontext des Kalten Krieges in den Blick und schaut besonders nach Osteuropa.

Diese Ausgabe des Magazins „Lernen aus der Geschichte“ wurde von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft gefördert. Die Beiträge regen historisch-politisch Bildende zu einer stärkeren Berücksichtigung europäischer Perspektiven an. Dabei ist mit der Herausforderung umzugehen, dass der kritische und multiperspektivische Modus im Umgang mit Vergangenheit durch gegenwärtige politische Konstellationen mehr denn je in Frage steht. Wir danken den Mitarbeiter:innen der Stiftung EVZ für ihre Beiträge zum vorliegenden Themenheft.

Das nächste LaG-Magazin erscheint voraussichtlich am 2. Juli 2025. Es thematisiert die Geschichte der Wehrpflicht in Deutschland seit 1945.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre!

Ihre
LaG-Redaktion

Beiträge

Zur Diskussion

Andrea Despot, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. 

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Maria Wilke ordnet dem 8. Mai eine besondere Bedeutung in der gegenwärtigen Erinnerungskultur zu. Der in den vergangenen Jahrzehnten erarbeitete europäische Erinnerungskonsens vom 8. Mai als dem Tag der Befreiung wird durch erstarkende geschichtsrevisionistische Deutungen als auch durch die russische Propaganda im Rahmen des Angriffskriegs gegen die Ukraine in Frage gestellt. 

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Jost Dülffer gibt uns einen Überblick über die Praxis der Erinnerung in west- und osteuropäischen Ländern. Die Tradition, an die „für das Vaterland gefallenen“ Soldaten zu erinnern, stellte in den Nachkriegsjahrzehnten europaweit keinen angemessenen Rahmen mehr dar, um der Opfer des Zweiten Weltkriegs, eines genozidalen Vernichtungskriegs, zu gedenken.

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Projekt

Sophie Ziegler stellt zwei von der Stiftung EVZ geförderte Projekte vor. Sie berichtet, wie junge Menschen heute die Geschichte des Kriegsendes aufarbeiten und erzählt hierbei von zwei Orten: der multikulturellen Region Fruška Gora in Serbien und dem Plac Grunwaldzki in der polnischen Stadt Wrocław.

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Tobias Rischk weist auf eine Ausstellung, einen Podcast, ein Projekt mit virtuellen Zeitzeug:innen und ein Tanzprojekt hin, die sich auf den 8. Mai 1945 beziehen. Eine Konferenz zum langen Kriegsende in Europa nimmt die nationalen Erinnerungen im Kontext des Kalten Krieges in den Blick und schaut besonders nach Osteuropa.

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