Ausgabe vom 25. November 2015 (09/2015)

Kriegskinder

Liebe Leserinnen und Leser,

wir begrüßen Sie zum aktuellen LaG-Magazin über das anspruchsvolle Thema der „Kriegskinder“.  Die Ausgabe ist eine ganz besondere, da sie in enger Zusammenarbeit mit der Hamburger Körber-Stiftung entstanden ist. Das vorliegende Magazin dokumentiert Beiträge, die im Rahmen des Europäischen Erinnerungstages „der lange Schatten des Zweiten Weltkriegs: Kriegskinder in Europa“ anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes in Zusammenarbeit von Körber-Stiftung und Deutschem Historischen Museum entstanden sind. Weitere Texte stammen aus dem Umfeld des europäischen Projekts „Children of War in Europe“, das von der Körber-Stiftung initiiert wurde und dessen Umsetzung bei der Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e.V. lag.

Der Begriff des „Kriegskindes“ kann nicht nur auf diejenigen Kinder eingeschränkt werden, die den Zweiten Weltkrieg im nationalsozialistischen  Deutschland und in seiner Spätphase häufig in Luftschutzkellern oder fernab der Eltern auf dem Land erlebten. Zu den „Kriegskindern“ gehören jene, die in den durch Deutschland überfallenen und besetzten Ländern lebten; jüdische Kinder, die im Versteck oder auch in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Ghettos überlebten ebenso wie die, deren Eltern sich widerständisch gegen die NS-Politik äußerten. 

Der Diskurs über „Kriegskinder“ ist durch unterschiedliche Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges und durch divergierende nationale Narrative geprägt. Die jeweiligen Erfahrungen und Traumatisierungen wirken über die unmittelbar Betroffenen hinaus und sind noch in der darauffolgenden Generation spürbar. Mittels biografischer Annäherungen kann über die notwendige Einordnung in den historischen Kontext hinaus das individuelle Schicksal von Kindern und Jugendlichen sowie ihre Handlungsstrategien in oft aussichtlos erscheinenden Situationen erschlossen werden, indem sie Aufgaben und Rollen übernahmen, die eigentlich Erwachsenen vorbehalten sind. Die Kinder erscheinen so als Handelnde in der Geschichte. Die kindliche Traumatisierung bedeutete nicht zwangsläufig, dass die Betroffenen später kein erfolgreiches berufliches und privates Leben führen konnten. Dennoch kann biografische Arbeit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Auswirkungen einer Kindheit im Krieg zu verdeutlichen. 

Anspruchsvoll, aber auch notwendig ist es, das Thema „Kriegskinder“ in einer Form zu behandeln, die nicht die Unterschiede zwischen den Zugehörigkeiten zu Täter- oder Zuschauerschaft oder aber zu Verfolgten und Opfern nivelliert. Bei allen Ambivalenzen gerade bei einer europäischen Betrachtungsweise sind dies nach wie vor essentielle Kategorien, auch für die Bildungsarbeit. 

In einem einführenden Aufsatz beschreiben Gabriele Woidelko und Sven Tetzlaff den multiperspektivischen Ansatz zum Umgang mit Lebensgeschichten der Kriegskinder seitens der Körber-Stiftung und gehen auf die Notwendigkeit der historischen Kontextualisierung von Familiengeschichten ein. 

Über das Projekt „Children of War in Europe“ schreibt Constanze Jaiser. In ihrem Essay geht sie vertiefend auf den Diskurs zu Kriegskindern ein, der in Deutschland nicht selten dazu diente eigene Verantwortung für NS-Verbrechen zu relativieren. Die Ergebnisse, die die Seminarteilnehmenden aus zwölf Ländern zusammentrugen, bereichern einen europäisch geführten Diskurs in mehrfacher Hinsicht.

Die Existenz deutsch-polnischer Besatzungskinder ist der Öffentlichkeit wenig bekannt. Nach der nationalsozialistischen Ideologie von der vorgeblichen Minderwertigkeit der polnischen Bevölkerung waren sie eine Unmöglichkeit. Maren Röger geht auf den Umgang und die Lebensumstände dieser Kriegskinder ein. 

Vaterlosigkeit als kriegsbedingte Erfahrung einer ganzen Generation in Deutschland und Polen hat Lu Seegers erforscht. Sie thematisiert die unterschiedlichen länderspezifischen Erfahrungen und die differierenden Selbstdeutungen des Vaterverlustes.

Silke Satjukow widmet sich der Situation von Besatzungskindern in Deutschland, deren massiver gesellschaftlicher Diffamierung sowie auch dem Bestreben der Besatzungsmächte, mögliche Unterhaltszahlungen auszuschließen. Auch hier spielt das Aufwachsen in höchst fragmentierten Familien eine wichtige Rolle.

Irina Scherbakowa nimmt sich des Themas der häufig jugendlichen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen an, die als sogenannte Ostarbeiter keinen Platz im kollektiven Gedächtnis der UdSSR fanden, weil ihr Schicksal scheinbar nicht in die sowjetische Meistererzählung vom „Heldentum des sowjetischen Volkes im Kampf gegen die faschistischen deutschen Eroberer“ passte. 

Beim Europäischen Erinnerungstag hat Rainer Moritz mit Herta Müller über ihre Kindheit und Vertreibungserfahrung in ihrer Familie gesprochen. Die Literaturnobelpreisträgerin skizziert ihr Leben unter zwei sehr unterschiedlichen diktatorischen Regimen, dem faschistischen von Antonescu und dem im stalinistisch geprägten Sozialismus. 

Mit Arno Surminski, den Hilke Lorenz interviewt hat, kommt ein weiterer Schriftsteller zu Wort. Surminskis stammt aus Ostpreußen, seine Eltern wurden in die Sowjetunion deportiert. Er geht auf seine Kindheit und deren Folgen für die Persönlichkeitsbildung ein.

In  einem von Haris Huremagić geführten Interview kommt der ehemalige Fußballnationalspieler Helmut Köglberger zu Wort, der als Kind eines afroamerikanischen Soldaten in Österreich geboren wurde. Neben seiner Kindheit thematisiert er sein Engagement im Bereich des Fußballsports und für die Nichtregierungsorganisation „Hope for Future“.

Wir danken allen Beitragenden für ihr Engagement.

Wir wünschen Ihnen eine ertragreiche Lektüre mit dem LaG-Magazin zu „Kriegskindern“.

Ihre Körber-Stiftung und LaG-Redaktion

Beiträge

Zur Diskussion

In ihrem Aufsatz beschreiben Gabriele Woidelko und Sven Tetzlaff den multiperspektivischen Ansatz zum Umgang mit Lebensgeschichten der Kriegskinder seitens der Körber-Stiftung und gehen auf die Notwendigkeit der historischen Kontextualisierung von Familiengeschichten ein.

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Zur Diskussion

Über das Projekt „Children of War in Europe“ schreibt Constanze Jaiser. In ihrem Essay geht sie vertiefend auf den Diskurs zu Kriegskindern ein, der in Deutschland nicht selten dazu diente eigene Verantwortung für NS-Verbrechen zu relativieren. Die Ergebnisse, die die Seminarteilnehmenden aus 12 Ländern zusammentrugen, bereichern einen europäisch geführten Diskurs in mehrfacher Hinsicht. 

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Die Existenz deutsch-polnischer Besatzungskinder ist der Öffentlichkeit wenig bekannt. Nach der nationalsozialistischen Ideologie von der vorgeblichen Minderwertigkeit der polnischen Bevölkerung waren sie eine Unmöglichkeit. Maren Röger geht auf den Umgang und die Lebensumstände dieser Kriegskinder ein.

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Vaterlosigkeit als kriegsbedingte Erfahrung einer ganzen Generation in Deutschland und Polen hat Lu Seegers erforscht. Sie thematisiert die unterschiedlichen länderspezifischen Erfahrungen und die differierenden Selbstdeutungen des Vaterverlustes.

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Silke Satjukow widmet sich der Situation von Besatzungskindern in Deutschland, deren massiver gesellschaftlicher Diffamierung sowie auch dem Bestreben der Besatzungsmächte, mögliche Unterhaltszahlungen auszuschließen. Auch hier spielt das Aufwachsen in höchst fragmentierten Familien eine wichtige Rolle.

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Irina Scherbakowa nimmt sich des Themas der häufig jugendlichen Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen an, die als sogenannte Ostarbeiter, keinen Platz im kollektiven Gedächtnis der UdSSR fanden, weil ihr Schicksal scheinbar nicht in die sowjetische Meistererzählung vom „Heldentum des sowjetischen Volkes im Kampf gegen die faschistischen deutschen Eroberer“ passte.

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Beim Europäischen Erinnerungstag hat Rainer Moritz mit Herta Müller über ihre Kindheit und Vertreibungserfahrung in ihrer Familie gesprochen. Die Literaturnobelpreisträgerin skizziert ihr Leben unter zwei sehr unterschiedlichen diktatorischen Regimen, dem faschistischen von Antonescu und dem im stalinistisch geprägten Sozialismus.

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