Magazin vom 21. Mai 2014 (05/14)

Das unschuldige Deutschland? NS-Aufarbeitung zwischen Schuldabwehr und staatlichem Antifaschismus

Liebe Leserinnen und Leser, 

wir begrüßen Sie zur neuen Ausgabe des LaG-Magazins. Der Titel dieser Ausgabe „Das unschuldige Deutschland?“ verweist auf den immer noch weit verbreiteten Mythos, in der DDR hätte es eine umfassende Entnazifizierung und eine gründlichere Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit gegeben als in der Bundesrepublik. Vielmehr gab es in beiden deutschen Staaten, wenn auch je unterschiedlich in den konkreten Ausprägungen, weitverbreitete Formen der Erinnerungs- und Schuldabwehr. Daher macht es Sinn zur Betrachtung dessen wie die „Aufarbeitung der Vergangenheit“ in beiden deutschen Staaten stattgefunden hat, vergleichende Perspektiven heranzuziehen, aber auch die jeweiligen Besonderheiten zu betrachten. Aus den unterschiedlichen Formen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus haben sich verschiedene Formen der Erinnerungs- und Gedenkkultur entwickelt, die bis heute wirkmächtig sind. Dies in Betracht zu ziehen scheint uns für Schulunterricht wie für die außerschulische Bildung bis heute notwendig. Materialien und Projekte, die eine Ost-West-Perspektive berücksichtigen sind ebenso rar, wie überhaupt didaktische Konzepte, die sich differenziert mit der Geschichte des, so die Selbststilisierung, antifaschistischen Staats auseinandersetzen. Hier sehen wir ausdrücklich Handlungsbedarf. Dementsprechend stellen wir im Besprechungsteil auch Materialien vor, die in erster Linie die Auseinandersetzung mit dem NS in der Bundesrepublik zum Thema haben, während die einleitenden Essay den Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte legen. 

Wir danken allen externen Autoren dieser Ausgabe für ihre Beiträge und die freundliche Mitarbeit. 

Mit der Frage, wie das Verfolgungsinteresse des Ministeriums für Staatssicherheit gegenüber ehemaligen NS-Tätern war, setzt sich Henry Leide auseinander. Dabei kommt er zu dem Befund, dass eine konsequente Verfolgung von NS-Verbrechen zugunsten eines Antifaschismus, der vor allem auf die Systemauseinandersetzung mit der Bundesrepublik zielte, ausblieb. 

Thomas Haury widmet sich in seinen Betrachtungen dem Verhältnis von Antifaschismus und Schuldabwehr in der frühen DDR. Sein Fazit: Im Ergebnis würde sich der Umgang mit dem NS durch das Zusammenwirken von kommunistischer Ideologie und Herrschaftsabsicherung in der DDR mit dem in der Bundesrepublik, jenseits der politischen Orientierungen, sehr ähneln.

Eine persönliche Reflexion und Auseinandersetzung des Umgangs mit der Schoa in der DDR hat Christoph Ehricht verfasst. In seinen Betrachtungen greift er die verkürzte bis verfälschende Darstellung der Judenvernichtung ebenso auf wie die Haltung eines staatsoffiziellen Antizionismus, der sich bis zum Antisemitismus steigern konnte, und zeigt, wie andererseits frühe schulische Angebote existierten, die allerdings oft in Propaganda gegen den Klassenfeind mündeten. 

Eine vergleichende Perspektive nimmt Georg Weininger ein. Er beschreibt, ausgehend von den unterschiedlichen Einschätzung des Nationalsozialismus durch die KPD und das Institut für Sozialgeschichte, wie sich sehr verschiedene Formen der Auseinandersetzung mit dem NS in Bundesrepublik und DDR abgeleitet haben.

In eigener Sache

Für das zweite Halbjahr 2014 gibt es wieder die Möglichkeit Beiträge einzureichen.Bitte beachten Sie dafür unseren Call for Papers.

Unser nächstes LaG-Magazin erscheint am 18. Juni 2014. Es befasst sich mit der aktuellen und historischen Situation von Roma in Deutschland und Europa. 

Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre, 

Ihre LaG-Redaktion

Beiträge

Zur Diskussion

Der Autor widmet sich der Frage, wie das Verfolgungsinteresse des Ministeriums für Staatssicherheit gegenüber ehemaligen NS-Tätern war. Er kommt zu dem Befund, dass eine konsequente Verfolgung von NS-Verbrechen ausblibe, zugunsten eines Antifaschismus, der vor allem auf die Systemauseinandersetzung mit der Bundesrepublik zielte.

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Zur Diskussion

Der Autor setzt sich mit dem Verhältnis von Antifaschismus und Schuldabwehr auf der Basis des staatlichen Antifaschismus in der frühen DDR auseinander.

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In seinen Betrachtungen greift der Autor die verkürzte bis verfälschende Darstellung der Judenvernichtung in der DDR ebenso auf wie die Haltung eines staatsoffiziellen Antizionismus, der sich bis zum Antisemitismus steigern konnte, und zeigt, wie andererseits frühe schulische Angebote existierten, die allerdings oft in Propaganda gegen den Klassenfeind mündeten.

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Der Autor beschreibt wie, ausgehend von den unterschiedlichen Einschätzung des Nationalsozialismus durch die KPD und durch das Institut für Sozialgeschichte, sich sehr verschiedene Formen der Auseinandersetzung mit dem NS in Bundesrepublik und DDR abgeleitet haben.

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Empfehlung Fachdidaktik

In seiner Studie setzt sich der amerikanische Historiker Jeffrey Herf mit der deutsch-deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus und die Shoah auseinander. Dabei thematisiert er Bruchlinien, Kontinuitäten und entscheidende Diskurse in der politischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Deutschland der Nachkriegszeit.

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In ihrem Sammelband „Die Sprache des Gedenkens“ eröffnen die Herausgeberinnen Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit und Susanne Lanwerd einen differenzierten Blick auf Gedenkpolitiken der DDR anhand der Gedenkstätte Ravensbrück in den Jahren 1945 bis 1995.

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Empfehlung Fachdidaktik

Edgar Wolfrum gibt in seinem Artikel einen hilfreichen zusammenfassenden Einblick in die Geschichte des Umgangs mit dem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik, eine pointierte Analyse dieses historischen Vorgangs und einen Transfer auf internationale europäische Gedenkpolitiken.

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In ihrem Aufsatz gibt Birgit Müller einen Überblick über die Erinnerungskultur in der DDR, wie sich diese im Laufe der Jahrzehnte entwickelte und welche Faktoren Einfluss auf jeweilige Brüche und Kontinuitäten hatten.

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Mit dem Dossier „Geteilte Erinnerung?“ bietet die Amadeu Antonio Stiftung eine Auseinandersetzung mit der Erinnerungskultur zum Nationalsozialismus in der Bundesrepublik und der DDR, sowie aktuell in Ost- und Westdeutschland, an.

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Das von dem Portal Zeitgeschichte-online herausgegebene Dossier gibt einen ausführlichen und informativen Überblick über Geschichte und Entwicklung der Auftragsforschung in bundesdeutschen Institutionen zu ihrer NS-Vergangenheit.

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Lernort

Die Dauerausstellung „Die Ermittler von Ludwigsburg“ in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen eröffnet seit 2004 einen detailreichen Einblick in die Arbeit der Zentralen Stelle seit ihrer Entstehung im Jahr 1958. Der gleichnamige Sammelband von Hans H. Pöschko bietet sich insbesondere für Lehrer/innen und Pädagog/innen an.

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Empfehlung Film

In der vom Fritz Bauer Institut herausgegebenen DVD wurden Aufnahmen von Fernsehsendungen der Jahre 1961-68, in denen Fritz Bauer als Redner in Erscheinung trat, kompiliert und mit Zusatzmaterial und Begleitinformationen ausgestattet.


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